Die Umfrage von Bildung Bern (s. Berner Schule, Ausgabe 03/20) gelangt unter anderem zur Erkenntnis, dass SchülerInnen auch ohne Noten sehr gut arbeiten. Ist eine Schule ohne Noten auch eine Schule ohne Prüfungen? Was bedeutet das Prüfen für den Prozess des Kompetenzerwerbs und wie gestalten wir die Prüfungen von morgen sinnvoll?
Alle, die sich noch an ihre Ausbildungszeit erinnern können, wissen bestens, dass Prüfungen die Taktgeber des Lernprozesses darstellten. An jedem Ende einer Lerneinheit steht eine Prüfungseinheit. Durch die Prüfung erhält der Lernprozess seine Struktur und die/der Lernende gleichzeitig eine Rückmeldung zum eigenen Lernerfolg. Doch erfassen Prüfungen nach heutigem Verständnis auch tatsächlich die Kompetenzen, deren Vermittlung angestrebt wurde? Und was sagt die Prüfungsleistung darüber aus, wie erfolgreich eine Person andere Lern- oder Anwendungssituationen bewältigen kann?
Lernen richtet sich grundsätzlich nach den Bereichen Wissen, Verstehen und Können (Anwenden) aus. Letzteres unterstreicht den heutigen gängigen Fokus auf die Vermittlung von handlungsorientierten Kompetenzen bei der Unterrichtsgestaltung. Lernziele und festgelegte Verhaltensweisen dienen schliesslich als Indikatoren für den Erwerb der jeweiligen Kompetenz.
Befunde zeigen, dass Noten für Studierende stärker im Vordergrund stehen als der Kompetenzerwerb. Dies bedeutet, dass vor allem Wert auf die Erfüllung von Prüfungsanforderungen gelegt und daher oft strategisch vorgegangen wird. Umso wichtiger ist es daher, dass in den Prüfungen die tatsächlich geforderten Fähigkeiten gezeigt werden müssen, um bestimmte Aufgabenstellungen zu lösen. Es gilt auch zu bedenken, dass Einfallsreichtum und Problemlöseverhalten aber nicht erst in der Prüfung, sondern bereits bei der Prüfungsvorbereitung relevant werden (Schulz et al., 2014).
Die Notwendigkeit von validen Prüfungsverfahren ist also unbestritten. Zunehmend an Wichtigkeit gewinnt jedoch der Prozesscharakter des Lernens und Prüfens. Prüfungen sollen zunehmend lernprozessbegleitend und -integriert sein (Kordts-Freudinger, 2013). Mit der Einführung von alternativen Prüfungsverfahren wie zum Beispiel das Portfolio steigen auch die Anforderungen an die Qualifikation der Prüfenden. Dies ist auch hinsichtlich zukünftiger digitaler Prüfungsverfahren relevant.
E-Learning-Lösungen im Unterricht aber auch im Prüfungssetting erfordern sowohl Lernenden als auch von Lehrpersonen entsprechende Fähigkeiten. Die Rolle der Lehrperson wandelt sich von VermittlerIn hin zu BegleiterIn und bringt damit neue Herausforderungen mit sich. Der Unterricht von morgen muss Lernende beispielsweise stärker zu selbstreguliertem Lernen befähigen. Mit der entsprechenden Technologie (siehe Cerezo et al., 2019) kann somit bald schon der digitale Lernprozess selbst bewertet werden. Somit würde zwar die klassische Prüfung abgelöst werden, aber nicht der Bewertungsprozess und damit vielleicht auch nicht die Noten.